Mathilde Langendorf
18.01.2022
Der Deutsche Caritasverband, Stifter von Zusammenhalt, feiert 125-jähriges Jubiläum. Gleichzeitig hat uns eine weltweite Pandemie seit zwei Jahren fest im Griff. Anlass, uns zu fragen: Was macht die Pandemie mit dem Zusammenhalt, für den wir stehen, in unserer Gesellschaft?
Dazu haben wir beim Meinungsforschungsinstitut forsa eine repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben. Telefonisch befragt wurden dafür Menschen über 14 Jahre in Deutschland, zum Teil vor Weihnachten und zum Teil in der ersten Woche des Jahres 2022.
Die Ergebnisse bestätigen, was viele von uns ahnen oder selbst fühlen: Die Pandemie lässt den gesellschaftlichen Zusammenhalt bröckeln: 72% empfinden, dass er abgenommen hat. Ein Viertel der Befragten sagt dagegen: Der Zusammenhalt ist stärker geworden.
Die Zahlen bestätigen den ambivalenten Eindruck, den viele Caritas-Kolleginnen und ‑Kollegen haben. Es gibt großartige Beispiele gelebter Solidarität und engagierten Zusammenrückens. Gleichwohl überwiegt das Gefühlt: das „Wir“ leidet in der Pandemie erheblich. Unsere Pflegekräfte sind ausgebrannt, unsere Jugendsozialarbeiterinnen verzweifeln angesichts von Jugendlichen mit Angst- und Essstörungen, unsere Beratungsstellen sind überlaufen, die Frage nach dem richtigen Weg zur Steigerung der Impfquote sät Unfrieden und Spannungen in Freundeskreisen, in Familien…
Wir haben auch gefragt, was es überhaupt braucht für eine Gesellschaft, die zusammenhält. Und da ist die Einigkeit groß – und zwar ungeachtet sozio-ökonomischer Merkmale wie Einkommen, Bildung oder Alter.
Es gibt niemanden, der die Werte Respekt, Solidarität, Gerechtigkeit oder Nächstenliebe (in der Umfrage mit „Engagement für andere“ übersetzt) als unwichtig erachtet. Es herrscht offensichtlich ein weit verbreiteter Grundkonsens über die Werte, die unser Zusammenleben als Gesellschaft fördern.
Fragen über Werte beantworten, ist leicht. Sie zu leben, noch ungleich schwerer. Ist die Identifikation mit den Werten, die das Grundgerüst für die Caritas bilden, ein Lippenbekenntnis? Schließlich erleben wir ja Einiges, das nahelegt, dass wir es alle nicht so eng sehen mit Respekt, Wertschätzung und Gerechtigkeit – nehmen wir beispielsweise die Selbstverständlichkeit, mit der wir im Internet bestellen, was uns ein unterbezahlter Paketbote vor die Tür liefert. Und das ist nur eine Ungerechtigkeit von vielen.
die unser Zusammenleben als Gesellschaft fördern.
Wer oder was befördert Zusammenhalt, gerade in der Pandemie? Das sagen die von uns befragten Menschen dazu:
Ergebnisse, die uns einerseits als Anbieter ehrenamtlichen Engagements und sozialer Hilfen (den beiden „Gewinnern“) Freude, beim näheren Hinschauen aber auch Sorge bereiten.
Bei jungen Menschen zwischen 14 und 29 Jahren punkten zwar zivilgesellschaftliche Organisationen überdurchschnittlich, landet die Politik aber als Solidaritätsstifter komplett abgeschlagen auf dem letzten Platz. Sie trägt, laut der jungen Menschen, in dieser Pandemie weniger als soziale Netzwerke zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei. Nur 17 Prozente der jungen Befragten bescheinigen ihr einen positiven Beitrag zum Zusammenhalt.
Die Politikverdrossenheit bei jungen Menschen ist augenfällig. Politik hat bei ihnen in der Pandemie in hohem Maße Vertrauenskapital verspielt. Junge Menschen fühlen sich durch die Corona-Maßnahmen mit ihren Bedürfnissen nicht gesehen oder zurückgesetzt. Zudem ernüchtert, dass weniger als die Hälfte aller Befragten in Bildungseinrichtungen wichtige Stifter von Zusammenhalt sehen – wobei es hier eher die Älteren sind, die skeptisch sind.
Aber nicht allein Wohlfahrtsverbände können Stifter von Zusammenhalt sein. Diese Aufgabe können sie nur im Zusammenspiel mit der Politik, mit Bildungs- und Kultureinrichtungen erfüllen. Gemeinsam ist man wirksamer — das ist der Grundgedanke, der bei der Gründung der Caritas vor 125 Jahren Pate stand. Und deshalb kann es uns nicht egal sein, wenn die Politik an Glaubwürdigkeit verliert, wenn die Menschen Schulen und Kitas nicht (mehr) als Orte des Zusammenhalts erleben.
In unserem Jubiläumsjahr bekräftigen wir das Gemeinsame – so ist unser Slogan #DasMachenWirGemeinsam zu verstehen: Ehrenamt und Hauptamt; Jüngere und Ältere; Armutsbetroffene als Expertinnen und Experten in eigener Sache und Profis der sozialen Arbeit; Christen und Muslime; Fromme und Zweifelnde; Krankenhäuser und Sozialstationen; Wohlfahrtsverbände und Kommunen. Für eine Gesellschaft, die zusammenhält.