Carmen Gräf
18.01.2022
Wer im Frauenhaus landet, hat in der Regel eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Viele Frauen werden Jahre oder Jahrzehnte lang von ihren Männern gedemütigt und geschlagen. Die Gewaltspuren sieht man ihnen in der Regel nicht sofort an. “Die wenigsten Opfer haben blaue Flecken im Gesicht”, erzählt Gabriele Kriegs. Die Frauenhaus-Leiterin hat die angenehme Ausstrahlung eines Menschen, der aufgeht, in dem, was er tut. Eine Power-Frau mit wachem Blick und ansteckendem Lachen. Sie wirkt durchsetzungsstark, spricht schnell mit Berliner Einschlag.
“Männer, die öfter zuschlagen, wissen ganz genau wohin”. Warum halten Frauen das aus? Gabriele Kriegs hat dafür keine endgültige Erklärung: “Liebe? Oft ist es wohl vor allem finanzielle Abhängigkeit.” Das wüssten die Männer natürlich und trauten den Frauen nicht zu, sich aus der Beziehung zu lösen oder gar den Gewalttäter anzuzeigen. Eine Ungerechtigkeit, gewiss, aber dann erzählt sie, dass sie immer wieder Frauen erlebt, die rasch Konsequenzen ziehen: “Wenn ein Mann sie bedroht, die Tür zuknallt und eine Vase hinterherwirft, sagen die ‘mit mir nicht’ und sind weg.”
Seit fast 30 Jahren leitet Gabriele Kriegs das Frauenhaus der Caritas in der westlichen Mitte Berlins. Seitdem kämpft sie für den Schutz von Frauen und Kindern, für ihren finanziellen Unterhalt und ihre Unabhängigkeit. 18 Frauen sind derzeit hier untergebracht, zwischen 20 und 40 Jahre alt, die meisten mit Kindern und mit Migrationshintergrund. “Ich begegne hier viel Unrecht”, sagt sie “und versuche ein Stück weit Gerechtigkeit zu schaffen.”
Plötzlich muss es schnell gehen. Eine Frau ruft an und bekommt einen Treffpunkt genannt. Dorthin muss sie allein kommen. “Die einzige Begleitung, die wir akzeptieren, ist Polizei in Uniform”, sagt Gabriele Kriegs.
Das Haus nimmt Frauen ab 18 auf, die Gewalt erfahren haben oder von Gewalt bedroht sind. Wenn eine Klientin zu nah am Haus wohnt, wird sie an ein anderes Frauenhaus vermittelt. Es wäre zu riskant, dass ihr der gewalttätige Partner in der Nachbarschaft über den Weg läuft. “Die Adresse bleibt geheim — das ist die oberste Regel im Haus,“ sagt die Caritas-Frau. Vom ersten Eindruck wirkten die meisten Frauen stabil: “Die waren oft schon beim Jugendamt oder bei der Polizei, haben also den ersten Schritt gewagt. Viele haben schon länger mit dem Gedanken gespielt, sich zu trennen.”
Die Leiterin und ihre Mitarbeitenden lassen die Frauen erst einmal zur Ruhe kommen und bieten Gespräche an. “Viele atmen auf, wenn sie merken, dass sie hier sicher sind.” sagt die Leiterin des Hauses.
Frauen müssten ihre Rechte kennen, erklärt Gabriele Kriegs. Sie müssten zum Beispiel wissen, dass sie Anspruch haben auf finanzielle Unterstützung und auf juristische Beratung. Dass das Gewaltschutzgesetz für sie greift und dass sie Anträge ans Familiengericht stellen können, wenn es zum Beispiel ums Sorgerecht für die Kinder geht. Im Frauenhaus gibt es für die Kinder ein kostenloses Mittagessen und kostenlose Betreuung. Für ihre Mahlzeiten und ihren Lebensunterhalt müssen die Frauen selbst aufkommen.
Deshalb kümmert sich die Caritas-Frau so schnell wie möglich um die finanzielle Absicherung ihrer Klientinnen: “Wir haben eine super Kooperation mit dem Jobcenter, das läuft über ein formloses Fax, um die Ansprüche zu sichern.” Viele Familien, aus denen die Frauen kommen, leben von Hartz-IV. Sie werden von den Behörden als Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Ex-Partner eingestuft. Das Geld, das sie vom Staat bekommen, wird aufgeteilt zwischen ihnen, den Kindern und dem Ex-Partner.
Vier bis sechs Monate sind die meisten Frauen hier. “Es passiert immer wieder, dass eine Frau ihrem neuen Freund verrät, wo sie wohnt oder sich gar hier abholen lässt. Dann muss sie unser Haus verlassen,” betont Gabriele Kriegs. Denn es gilt: Sicherheit für alle geht vor der Sicherheit der einzelnen Frau. Das sei für sie und ihre Mitarbeiterinnen schwer: “Gerade wenn alles auf einem guten Weg war oder wenn die Frau drei Kinder hat, die gerade umgeschult wurden.”
Hat die Corona-Pandemie die Situation verschlimmert? Gibt es mehr Opfer, die vor häuslicher Gewalt hierher flüchten? Die Caritas-Frau kann das nicht bestätigen: “Es ist so schlimm wie es immer war. Es gibt nicht genug Plätze in Frauenhäusern.”
Was sie jedoch über Jahre hinweg beobachtet: Das Frauenhaus spiegelt das, was in der Stadt los ist. “Während des Bürgerkriegs in Jugoslawien kamen viele Geflüchtete hierher, die häusliche Gewalt nahm zu. Das passierte auch in der Krise 2015. In den überfüllten Unterkünften der Geflüchteten stieg die Gewalt gegen Frauen an.”
Doch gerade geflüchtete Frauen hätten einen großen Drang, sich und ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Gabriele Kriegs erzählt von einer Lehrerin aus Syrien, die an der Universität Potsdam ins Refugee Teachers Program aufgenommen wurde — eine Ergänzungsqualifikation für Pädagogen, die nicht in Deutschland ausgebildet wurden. “Die Frau unterrichtet heute an einer Berliner Schule, ihre Kinder sind Klassenbeste.” Es schwingt merklich Stolz mit, wenn Gabriele Kriegs das erzählt. Auch das ist für sie Gerechtigkeit — wenn Frauen es schaffen, sich aus einer scheinbar ausweglosen Situation zu lösen und sich ein neues Leben aufbauen: “Ich finde es beeindruckend, wie stark die Frauen sind!”
2 Antworten auf „Gerechtigkeit: Gabriele Kriegs“
Gabriele Kriegs und ihr Team leisten eine sehr wertvolle und anspruchsvolle Arbeit und ich danke allen Mitarbeiterinnen in allen Frauenhäusern für das geleistete Engagement!
son ideal estoy muy feliz 😍