Carmen Gräf
18.01.2022
Eine halbe Stunde, bevor der türkisfarbene Bus am Bundesplatz anrollt, sind schon die ersten Gäste da. Sie sind hungrig und freuen sich auf eine warme Mahlzeit. Für viele die erste und oft auch die einzige an diesem Tag.
Hans-Joachim ist Stammgast. “Das ist meist richtig lecker hier”, sagt er und stellt sich in die Schlange am Foodtruck. Es duftet appetitlich nach frisch gekochtem Gemüse. Ein Eintopf mit grünen Bohnen, Karotten, Kartoffeln und Rindfleisch steht bereit. “Wir versuchen, ausgewogen und nährstoffreich zu kochen”, betont der freundliche Mann an der Essensausgabe. “Meistens sind unsere Gerichte fleischlos und wenn nicht, bieten wir eine vegetarische oder vegane Alternative an.” Auch wer am Rande der Gesellschaft lebt, hat ein Recht auf gutes Essen — darüber ist sich das Team des Foodtrucks einig. Dieser gehört dem Berliner Catering-Unternehmen Mama & Sons. Obdachlose werden hier genauso respektvoll behandelt wie Schauspieler am Filmset, für die das Team von Mama & Sons schon oft gekocht hat.
Die Sache mit dem Foodtruck sei zunächst aus der Not geboren worden, erzählt die Caritas-Koordinatorin des Projektes, Angelika Kaljic. “Während des Lockdowns im letzten Jahr waren fast alle Tagestreffs und Suppenküchen geschlossen — da dachte die Caritas über ein mobiles Projekt nach.” Die Aktion Mensch spendete 20.000 Euro, das Berliner Unternehmen Mama & Sons kam auf die Caritas zu. “Sie hatten noch Lebensmittel auf Lager und boten an, diese zu spenden”, berichtet Angelika Kaljic. “Daraus ist nun eine dauerhafte Kooperation entstanden.” Mama & Sons kocht das Essen, stellt den Foodtruck und das Personal, die Caritas übernimmt die Kosten und bietet zudem Getränke an. Es gibt Wasser, Tee und Kaffee.
Im letzten Jahr war der Foodtruck jeden Tag unterwegs, inzwischen ist er dreimal pro Woche für die Caritas im Einsatz. Jeden Dienstagnachmittag ist das Mobil am Bundesplatz, davor am Ostbahnhof. Weitere Standorte sind die Kurfürstenstraße und der Alexanderplatz. Bis zu 100 Mahlzeiten werden pro Tag verteilt.
Hans-Joachim fährt quer durch die Stadt für eine warme Mahlzeit. Er kennt alle Standorte. “Wenn ich unterwegs bin, werde ich oft als Penner und Idiot beschimpft”, sagt der 66-Jährige. “Manchmal werde ich auch geschubst und getreten.” Die wenigsten Menschen würden ihn respektieren.
“Die können sich nicht vorstellen, was ich so durchgemacht habe”, sagt er. Hans-Joachim spricht schnell und ein bisschen vernuschelt und guckt dabei in die Ferne. Er scheint es nicht gewohnt zu sein, dass ihm jemand zuhört. Das Leben hat ihm übel mitgespielt. Früher hat er Fernsehgeräte repariert. Der Laden musste schließen. Er war auf Sozialhilfe angewiesen. Später arbeitete er in einer Schule als Hausmeister bis zur Rente. Weil diese nicht reichte, machte er sich selbstständig mit einem Laden, der technische Geräte reparierte. Als es Ärger mit dem Vermieter gab, warf er das Handtuch. Bei einem Wohnungsbrand vor fast 20 Jahren musste er aus dem Fenster springen. Ein Bein wurde schwer verletzt. Seitdem trägt er eine Schiene und hat starke Schmerzen.
Trotzdem würde Hans-Joachim gern etwas für andere tun, denen es schlechter gehe als ihm. Leider habe er keinen Führerschein, sonst könnte er sich gut vorstellen, beim Foodtruck-Projekt mitzumachen.
Derzeit lebt er in einem sozialen WG-Projekt mit vier anderen Männern. Hans-Joachim hat drei große, mit Hausrat gefüllte Einkaufstüten bei sich und bezeichnet sich selbst “als eine Art Messie”. Das sei für andere schwierig. “Vor allem ein WG-Nachbar pöbelt mich ständig an und behandelt mich respektlos”, sagt er. Deshalb wolle er raus aus der WG. Die Caritas helfe ihm, eine eigene Wohnung zu finden. “Hier bei der Caritas sind alle nett zu mir”, sagt er. “Die verstehen mich.”
Angelika Kaljic nickt. Respekt sei für sie kein leeres Wort: “Eine warme Mahlzeit allein — das reicht nicht.” Es komme sehr darauf an, wie man die Menschen behandele. “Wir verurteilen niemanden, wir hören zu, wir nehmen uns Zeit,” betont die Foodtruck-Koordinatorin. “Dafür bekommen wir viel Dankbarkeit zurück.”
Unter den Gästen des Foodtrucks seien nicht nur Wohnungslose, sondern auch viele Menschen mit einer schmalen Rente. “Etwa eine Friseurmeisterin, die einen eigenen Laden hatte”, berichtet Angelika Kaljic. “Nun reicht ihre Rente nicht, um über die Runden zu kommen.” Manche Gäste seien einsam und kämen einfach nur hierher, um zu reden. “Sie sind alle auf ihre Weise bedürftig”, sagt die Caritas-Frau. “Wir fragen nicht nach einem Bedarfsnachweis. Jeder, der hierherkommt, kriegt was zu essen.”
Von weitem sieht es aus, als ob sich am Foodtruck eine Partygesellschaft versammelt hätte. Etwa 40 Menschen stehen herum, unterhalten sich, lachen und löffeln Eintopf. “Ich achte darauf, dass hier ein netter Umgang herrscht”, sagt Angelika Kaljic. “Die meisten gehen respekt- und rücksichtsvoll miteinander um. Nur selten ist mal ein Störenfried dabei.” Dem habe sie gesagt, dass er nicht wiederkommen solle.
Hans-Joachim hat hier bisher mit niemandem Ärger gehabt. Er genießt den warmen Eintopf, die gelöste Stimmung, sagt hier und da “Hallo”. Angelika Kaljic begrüßt ihn wie einen alten Bekannten. “Die sind hier gut zu mir”, sagt er, “die Leute von der Caritas und vom Foodtruck. Die respektieren mich.”
2 Antworten auf „Respekt: Hans-Joachim Degner“
Ich finde diesen Beitrag wichtig und richtig
jaa